Sie treibt die Schrumpfung in die Höhe (huch!),
Ich bin mir meiner Tollheit halb bewusst;
Vom Schafe fordere ich die allerschönste Wolle
Nur hat die auf das Kleinsein keine Lust.
(Sehr frei nach Faust)
Eine Giraffe war bestellt, eine Giraffe habe ich gefilzt. Aus Kapmerino, weil die so wunderbar weich und glatt und geschmeidig und biegsam wird und dabei so ungeheuer stabil. Als könne man Wolle verflüssigen, in Form gießen und fest werden lassen. Dieses Tier hier konnte felsenfest auf seinen langen, dünnen Stelzenbeinen stehen, als es noch ganz nass und schwer war – das soll der Kapmerino erst einmal eine andere Wolle nachmachen. Ich liebe Kapmerino!
Indes – ich liebe Kapmerino vor allem, was das Ergebnis betrifft. Damit zu filzen ist ziemlich nah an einer kleinen Vorhölle für jemanden, der das raue, unkomplizierte Bergschaf liebt. Die kleinste Berührung mit Wasser reicht, und das zarte, feine Zeug behauptet, es sei bereits halb gefilzt. Dann aber macht man Stunden um Stunden damit herum, und es wird und wird nicht fertig. Und am Ende ist alles so zusammengeschrumpft, dass man gar nicht mehr weiß, woran man eigentlich so lange gearbeitet hat. Um diese enorme Schrumpfung wissend, legte ich das Tier also riesig an und erwartete, dass es dann recht groß wird.
Es blieb aber … riesig. Madame Giraffe misst über 30 Zentimeter. Geplant waren fast zehn weniger. Und dass ich die Beine noch nacharbeiten werde, hilft auch nix, die werden nicht mehr kürzer, nur dünner.
Weil ich es sehr sympathisch finde, wenn jemand sich derart standhaft weigert, sich zusammenstauchen zu lassen, erkläre ich hiermit die Gigantoraffe zu meiner Heldin des Tages – eigentlich sammelt Ninotschka ja Alltagshelden und keine giraffomanischen Ausnahmeerscheinungen, aber ich hoffe, sie lässt auch Helden in Übergröße rein. Außerdem schaut die Giraffe beim Creadienstag vorbei und leider heute nicht bei Nina, denn an ihr ist ja alles frisch und neu, pfft – aber ihr mögt vielleicht bei Nina vorbeischauen, denn dort sorgen alte Hüpfbälle für monströse Ordnung, das darf man nicht verpassen.
Wer mehr lesen möchte über Gefilztes, das nicht ganz so wurde wie gedacht, der findet bei Stefanie einen Montagsartikel über Wollexperimente – wer nicht immer nur das Immergleiche wiederkäut, begibt sich auf gefährliche Pfade, begegnet nicht nur Riesengiraffen, sondern erlebt auch mal, wie es ihm den Filz unter den Händen zerreißt. Stefanie fragt in ihrem Artikel: Darf und sollte man über das Scheitern berichten? Ihre Antwort ist lang und nachdenklich, meine kurz und entschlossen: O ja. Man darf. Man sollte. Denn es irrt der Mensch, solang er strebt. Ich halte nichts davon, immer nur die Glanzlichter und Höhepunkte zu präsentieren, auch wenn man das natürlich auch darf, wenn man unbedingt möchte. Aber wenn Irren menschlich ist, dann ist immerwährende Perfektion unmenschlich, und man kann sie bewundern, aber sie berührt einen nicht. Mich jedenfalls nicht. Was soll ich daran bewundern, wenn jemand glatt durchmarschiert zur Perfektion, ohne auf Widerstände zu stoßen? Ich bestaune es doch gerade, wenn jemand etwas Schwieriges schafft, wenn er sich durchbeißt, nicht aufgibt, Neues entdeckt und schafft, ob nun weltneu oder neu-für-ihn-oder-für-mich. Der Welt etwas abzuringen, etwas zu erarbeiten, das ohne Arbeit nicht da wäre – das ist es, was mich interessiert. Der Prozess ebenso wie das Ergebnis. Ich bewundere Schönheit umso mehr im Kontrast zu dem, was nicht so wurde, wie es sein sollte. Vielleicht erschreckt es mich auch einfach nur, wenn jemand niemals „scheitert“. Aber ich glaube, das ist es nicht. Es würde mich einfach nicht so sehr interessieren, weil es mir zu maschinell erschiene. Die atemberaubende Schönheit, die unsere Hände und Köpfe bisweilen hervorbringen, fasziniert mich, weil wir selbst so unvollkommene Geschöpfe sind.
Doch nicht so kurz, meine Antwort, hm? Vielleicht drücke ich mich 2015 mal knapp aus, dieses Jahr hat dieses Ansinnen es nicht auf meine Liste der guten Vorsätze geschafft.
Die Giraffe darf übrigens so groß sein, ich habe sicherheitshalber nachgefragt, und sie ist auch mit 30 Zentimetern herzlich willkommen. Da freut sie sich, und ich mich auch! Weil ich nicht so treuherzig gucken kann wie sie, übernimmt sie den dankbaren Blick und damit auch das Schlusswort. Habt eine wunderschöne Woche voller Chaos, Ordnung und allem dazwischen!
ninotschka sagte:
klar ist die giraffe ein würdiger alltagsheld. du aber auch, immerhin hast du sooo fleißig gefilzt!
klippspringer sagte:
Ui, vielen Dank! Sich selbst küren darf man ja nicht, aber wenn Du das so sagst … ich finde mich auch geradezu berückend fleißig! Allerdings gleiche ich das direkt in einer Stunde durch wundervolles Faulenzen aus, fest vorgenommen. Muss ja im Gleichgewicht bleiben, das Streben und das Nichtstreben, sonst stößt man sich irgendwann den Kopf. 😉
Sumsel sagte:
Wahnsinn! Ich wusste gar nicht, dass man so tolle Dinge herstellen kann!
Ich bin gerade so fasziniert davon und hätte auch gerne eine Giraffe 😀
Wie lange hast du denn dafür gebraucht?
klippspringer sagte:
Oh, mit Filz geht eigentlich alles, solange es eben keine andere Struktur braucht als eine textile … funktionierende Taucherhelme oder Kranhaken werden also nix, aber in der Form- und Farbgebung ist wirklich alles, alles offen. Und Du brauchst nichts als Wolle in der entsprechenden Farbe, Seifenwasser und/oder eine Filznadel und Geduld. Das entzückt mich immer wieder über alle Maßen. Beim Nähen hab ich dauernd irgendwas nicht da – Reißverschluss reicht nicht mehr, keine KamSnaps, keinen grünen Stoff mit Sauriern, wie der Kleine ihn sich gerade wünscht, Mangelerscheinungen ohne Ende. Mein bescheidener, öh, Kleiderschrank voll Wolle aber (ja, oje, es ist in der Tat ein halber Schrank voll, hm … das führt meine Behauptung, man brauche eigentlich nichts, vielleicht ein klein wenig ad absurdum, hihi) liefert mir immer das, was ich gerade für eine Idee brauche. Einfach die passende Wolle nehmen, Wasser heißmachen, druff. Alle Formen möglich, alle Muster. Toll. Mich macht das wirklich sehr, sehr glücklich.
Wie lange – puh. Das kann ich nicht genau sagen. Ein paar Stunden, aber nicht am Stück, weil ich bei so großen Sachen gern alles über Nacht liegenlasse – am nächsten Tag filzt es schneller und fester, weiß der Teufel, warum. Und der Kleine hopste zum Beispiel beim Auffilzen der Flecken ständig herbei und wollte zwischendurch ein Pixibuch vorgelesen haben … bescheidene Wünsche, aber dennoch Unterbrechungen. ich habe jedenfalls an einem Abend angefangen, am nächsten Morgen die Flecken aufgefilzt, am Abend dann alles nachgearbeitet, und jetzt gehe ich noch mal ran und mache der Giraffe Beine, nämlich schlanke. Ganz ohne dass sie auf Essen verzichten muss – beneidenswert. Aus Wolle müsste man sein. 😀
Sabine / Insel der Stille sagte:
Einfach zum Liebhaben die Giraffe, ganz egal welche Größe sie nun misst 🙂
Sonnige Grüße
Sabine
Änni sagte:
Zauberhaft! Die ist einfach nur ganz toll!
Liebe Grüße, Änni
frauhsnaehwelt sagte:
WOW, total schön!!!!
LG
Frau H.
Frau Zuckerrübchen sagte:
Ich bin verliebt und fasziniert. So ein schönes Tier.
Eine Zeit lang hab ich Giraffen gesammelt. War sozusagen mein Totem ;o) Das lag daran, das ich 1,80m groß bin und mich erst nach und nach damit abfinden musste niemals eine Gazelle zu sein. Aber, wie man auch bei deiner sehr deutlich sieht, auch eine Giraffe hat ihre speziellen Vorzüge und Reize. Musste ich nur für mich erst annehmen.
Ich finde deine Betrachtung über Perfektion sehr zum Nachdenken anregend.
Danke dafür
Liebe Grüße
Jennifer
mme ulma sagte:
hehe, genau deshalb sind wir einander ja nicht ganz grün, das filzen und ich. diese unwägbarkeiten! und ich bin sowieso beizeiten eine scheitermaschine, da brauch ich nicht noch eine obendrauf. das ist so ähnlich wie mit dem reißverschlüsse annähen — sicher nicht, zumal wenn ich gerade ein wenig erfolg bräuchte.
jedenfalls ist die giraffe grandios geworden. und von scheitern de facto so so weit weg, 30 cm mindestens 🙂
Alice sagte:
Ein faszinierendes Geschöpf! Wirklich bewundernswert, was Du da aus Wolle gezaubert hast – egal, wie groß! Die Giraffe ist traumhaft schön, schon vor allem wegen der Mühe und Kreativität, die in ihr steckt!
LG,
Alice
Nina sagte:
Dieser Blick.
Was für eine Giraffe. Unzusammenstauchbar, würdevoll und herzensgut, man sieht es in ihren Augen. Die hat man gleich lieb.
So langweilig viele Perfektion finden, so sehr wird doch nach ihr gestrebt. Warum das wohl so ist?
Und fasse Dich bitte nicht kurz. Es wäre ein Verlust.
Beste Grüße von Nina
Marlies Schröder sagte:
Einfach nur wunderschön! Nach meinem letzten (und einzigen) Filzversuch vor Jaaaahren hatte ich ewig so verschrumpelte Hände, dass ich es nicht mehr ausprobieren wollte. Leider, wenn man sieht, was dabei rauskommen KÖNNTE…
Liebe Grüße! Marlies
klippspringer sagte:
Bei mir hilft es, wenn ich eine Weile vor dem Filzen die Hände eincreme, Olivenseife statt Schmierseife nehme und nach dem Filzen die Hände wasche und wieder eincreme, bevorzugt mit einer Creme, die einen gewissen Anteil Urea enthält. Was das ist, schlägt man natürlich besser nicht nach, aber es hilft. 😀
stefanie sagte:
liebe frau klippspringer,
wie konnte das passieren, dass ich ihren blog noch nicht kannte? na, da kann ich ja jetzt mal ein biscchen nachlesen! danke fürs verlinken und bekanntmachen und schöne grüsse an die giraffe!
stefanie.
Polyxena 1981 sagte:
Wow, die ist ja wunderschön
Liebste Grüße zu dir 🙂
Zaubertroll sagte:
Boah, ist die schön! Besonders hübsch ist dieser leicht angewinkelte linke Hinterfuß. Sehr elegant!
Liebe Grüße, Anne
klippspringer sagte:
Ich freu mich so über eure lieben Worte zur Giraffe – habt vielen Dank!
indi sagte:
Ich bin absolut faszniert von Giraffen, speziell von DIESER Giraffe und von deinem Können. Wenn – anscheinend – sogar Auftragsarbeiten möglich sind, möchte ich irgendwann einen „echten Klippspringer“ mein eigen nennen, soviel steht fest. Das schon mal als Vorwarnung. 😉
Davon ab, ich kann’s mir nicht verkneifen und muss auf 5 Minuten hinreißend-absurde Giraffen-Poesie hinweisen: http://arte-myself.de/580-meter-von-nicolas-deveaux/
Kleiner Tipp: der Abspann ist noch nicht das Ende des Films!
Liebe Grüße,
Manfred
klippspringer sagte:
Oh, Auftragsarbeiten mag ich, wenn es zeitlich machbar ist, sehr! Das Schönste am Filz ist ja gerade seine Flexibilität … wenn ich ein spezielles Tier nähen wollte, würde durch die Notwendigkeit, ein Schnittmuster zu entwerfen, auszuprobieren, zu optimieren und so weiter, der Aufwand so groß, dass es ohne nachfolgende Massenproduktion oder einen absurden Preis nicht zu machen wäre. Mit Filz geht keine Massenproduktion, dafür eignet er sich aber phänomenal gut für Unikate. Wenn Dich also irgendwann eine Vision heimsucht, sag Bescheid, es wäre mir Freude und Ehre. 😉
Der Film ist ja umwerfend – ich liebe es, wie entschlossen sie angaloppieren! Ist es eine Copyright-Verletzung, wenn ich zusammengerollte Giraffen zum Aufhängen mache? Das ist SO schön absurd! Ich mochte schon die trampolinspringenden Elefanten, die Giraffen gefallen mir aber fast noch besser.
Liebe Grüße zurück,
Maike
Frau Kakau sagte:
Sehr hübsch Deine Giraffe! Und tolle Arbeit! Du bist auch eine Heldin!