Lieber Petrus,
Regen ist wunderbar. Er verändert die ganze Welt, taucht sie in gedämpftes Licht und lässt zugleich die Farben lebendig werden auf eine Weise, wie es die Sonne nicht vermag; als leuchtete die ganze Welt unter einer nur hauchdünnen Patina aus Grau. Regnet es nur genug – entweder lange genug oder reichlich genug oder gar beides -, brausen gewaltige Flüsse durch den sonst so langweiligen Rinnstein, Seen tun sich auf, wo vorher nur öder Stein gewesen, und oh. Oh! Dieser Geruch. Nasser Stein, nasses Erdreich, nasses Metall, nasses Grün, nasser Hund. Nasses Haar, nasse Füße, alles nass, alles riecht dumpf und klar zugleich und nach dem Anbeginn der Welt, reingewaschen, auf seinen Ursprung und auf Ursprünglichkeit reduziert, auf das wahre Sein hinter dem gegenständlich Wahrgenommenen, als rieche man mit einem Mal die Seele der Welt. Der Schöpfung. Des Universums.
Wir waren heute unterwegs, der Kleine und ich. Im Bus, zu Fuß. Wann immer wir in den Bus stiegen, hörte es auf zu regnen. Wann immer wir ihn verließen, fing es wieder an. Das Kind jubelte, es liebt Pfützen, in dem Alter weiß man ja noch ganz instinktiv zu schätzen, was wunderbar ist, im wahrsten Sinne wunder-bar, eben ein bares Wunder, wenn auch vielleicht vermeintlich und augenscheinlich ein wenig unbequem. Wir wateten durch Seen – ich jedenfalls watete, das Kind preschte. In einer Vision sah ich Bäume, Autos, Menschen in den Fluten versinken, ganze Straßenzüge schimmerten in nachgerade apokalyptischer Schönheit, und mir wurde klar: Es regnet seit sieben Tagen. Und ich fragte mich in meiner großen Schlichtheit voller Staunen: Mag das wohl die Sintflut sein? Das, lieber Petrus, soll kein Vorwurf sein, natürlich nicht, denn wenn ihr es beschließt, dann ist es so, und ich will nicht leugnen, dass dieser scheißschöne Regen selbstverständlich auch nach sieben Tagen nicht an Reiz verliert. Und wenn wir das Kinderzimmer ausräumen, haben wir auch noch genug Platz, um noch mehr Klamotten zu trocknen. Mehr Klamotten, als wir überhaupt haben, denke ich seit vorgestern gelegentlich. Auch das ist ein Wunder. Danke.
Also, Petrus. Es regnet seit ungefähr sieben Tagen, vielleicht auch schon länger, ich niese zu oft, um mir darüber verlässlich im Klaren zu sein. Hamburg wird zum ganz sprichwörtlichen Venedig des Nordens, und wir schaffen demnächst eine Gondel an, lassen uns dann vom Balkon aus zu Wasser und danken Dir und dem restlichen Gesocks und Elendspack dort oben im Himmel, aus dem es so unablässig schüttet, von Herzen für diesen Segen. Vielleicht schwimmt ja auch mal ein Wal vorbei, den Kleinen wird es freuen. Für den Hund nähe ich Flossen, dann ist er eine Seekuh. Danke, Petrus. Danke.
Ich hebe die Hand und entbiete Dir meinen demütigsten Gruß, ehrwürdiger Herr der gezückten Regenschirme. Lies zwischen den Zeilen.
