Eine Kleinigkeit: ein Papierkranich. Flüchtig und schnell gefaltet, als Symbol höchst beständig: Wer tausend Kraniche faltet, dem erfüllt sich ein Wunsch. Er steht für Hoffnung und für den Frieden, spätestens seit Sadako, die tausend Kraniche falten wollte, um wieder gesund zu werden. Sie hat es nicht geschafft, ihre Schulkameraden haben die letzten Kraniche gefaltet und auf ihr Grab gelegt. Mich haben, seit ich das Buch als Kind gelesen habe, einige Fragen umgetrieben. Zum einen: War der kleine Kranich, der vorne in meiner Büchereiausgabe klebte, wirklich, wie die handschriftliche Notiz besagte, von japanischen Schulkindern gefaltet worden, und wie kam es dazu, dass er in dieses Buch in einer deutschen Bibliothek gewandert ist? Zum anderen: Was wäre, wenn Sadako den tausendsten geschafft hätte und trotzdem gestorben wäre? Und: Wie viele ihrer Mitschüler mögen noch gestorben sein, ebenfalls an Leukämie oder einer anderen Spielart des guten alten Freundes Krebs – nach Hiroshima? Es ist eine so traurige Geschichte, und doch hat sie mich nie verlassen. Sie vermag aber mein Verhältnis zum Kranich nicht zu überschatten – ich bin ihm zum ersten Mal im Kinderladen begegnet, wo ein Praktikant Kraniche in rauen Mengen faltete und sie „Pelikane“ nannte. Selbst habe ich mit fünf, fast sechs Jahren zum ersten Mal einen gefaltet, als ich ein Origamibuch erbettelt habe, das eigentlich noch zu schwierig war für einen so kleinen Menschen. Aber was ist eigentlich „zu schwierig“? Ich habe mir in harter Arbeit angeeignet, die Faltanleitungen zu lesen, die man „Diagramme“ nennt, habe Berg- von Talfaltungen unterscheiden gelernt und Stunden um Stunden mit dem Papier gekämpft, bis es sich endlich zu Form fügte und Blüte, Samurai, Kranich wurde. Ich erinnere mich noch so gut an den Stolz, wenn ich eine neue Figur zum ersten Mal fertigbekommen habe, und sie alle sind mir noch gut im Gedächtnis, diese ersten aus jenem ersten Buch – diesem hier übrigens, für Anfänger wirklich nicht verkehrt. Es ist sehr ursprünglich, die Anleitungen sehr sauber. Erst viel später habe ich begriffen, was alles möglich ist. Damals war es mir Zauber genug, dass sich ohne Schere und Klebe aus einem einfachen Blatt Papier einfache Figuren falten lassen. Und gerade beim Kranich denke ich noch heute: So viel Anmut und Schönheit liegt gerade in seiner Schlichtheit.
Inzwischen habe ich längst weit über tausend von ihnen gefaltet – allein fünfhundert, als meine Cousine nach Japan gegangen ist und meine Schwester und ich beschlossen, ihr einen Karton mit tausend Kranichen zu schenken. Vielleicht habe ich ja einen Wunsch frei? Symbolhaft für diesen einen Wunsch habe ich aus einem Stoffrest einen Kranich gefaltet und ihn vernäht, so dass er stabiler und robuster ist als seine Kollegen aus Papier. Ich habe mir als Kind immer gewünscht, sie wären stabiler, diese Geschöpfe. Das Ergebnis, wenn auch noch optimierbar, entzückt mich so, dass es sicher nicht das letzte Stofforigami bleiben wird. Wer auch mal möchte: Hier gibt es ein Kranich-Diagramm, und es empfiehlt sich bei der Stoff-Umsetzung, es erst mal mit Papier zu üben, wenn noch nie versucht, außerdem arbeitet es sich mit nassem Stoff am besten – ich habe ab und zu drübergebügelt, um die Faltungen zu fixieren.
Mein Wunsch, nur scheinbar klein und bescheiden: Ich wünsche mir, dass heute jemand begreift, dass er seinem Kind viel zutrauen kann.

(Das Buch, das ich gerade lese und das hier als Unterlage dient, passt auch direkt ganz wunderbar dazu).
Der Kranich fliegt zu Nina, zu Ninotschka und zum Creadienstag.